Luca Lombardi - Zeit-Dauer

On the occasion of temps - durée, Zeit, Dauer und Stillstand. Il tempo come distanza, il tempo come permanenza, IIC Italian Cultural Institute Vienna, 2016 

Über Mare/World I

 

"Mare" (Meer) schrieb ich 2011/2012 zum größten Teil in Israel, wo ich seit einigen Jahren relativ viel Zeit verbringe. Kurz davor hatte ich eine Auftragskomposition für die Mailänder Scala geschrieben, "Italia mia" (Mein Italien), in der auch ein eigener Text vorkommt:

 

 

 

Su questo bel mare nostro si affacciano tanti paesi: Gibilterra, Spagna, Francia, Monaco, Italia, Slovenia, Croazia, Montenegro, Albania, Grecia, Turchia, Cipro, Siria, Israele, Palestina, Libano, Egitto, Libia, Malta, Tunisia, Algeria, Marocco.

 

Il mare è agitato e calmo, ci è amico e nemico.

 

Ma com’è bello il mare quando è calmo, e l'aria mite.

 

Su una spiaggia di Israele, mia antica e nuova patria – anzi “matria” – ascolto il rumore della risacca, sempre uguale e sempre diverso, e scruto l'orizzonte.

 

Immagino che, dall’altra parte del Mediterraneo, qualcuno, come me, sieda in riva al mare e scruti l'orizzonte.

 

Anche noi, come il mare, siamo calmi e agitati, amici e nemici.

 

Ma com’è bello quando, sereni, sediamo in riva al mare, e il mare è calmo.

 

 

 

Möglich, dass dieser nachdenkliche und gewiss auch optimistische Text in der neuen Komposition mitschwingt. Doch hat diese Komposition nichts mit einer politischen, schon gar nicht mit einer tagespolitischen Aussage zu tun. Es ist eine - ganz und gar musikalische - Reflexion über das Meer, das eine Welt für sich ist. Somit ist es auch eine Reflexion über die Welt selber - und über unsere eigene Stellung in ihr. 

 

"Mare" steht im Zusammenhang mit "Terra" (Erde), worüber ich später etwas sagen werde. Beide Stücke sollen eventuell später, mit "Vento" (Wind) und "Sole" (Sonne), einen vierteiligen Zyklus bilden.

 

Wenn man ein neues Stück komponiert – insbesondere bei Kompositionen mit einer  bestimmten Thematk wie "Italia mia“ oder  „Mare“ – spielt und klingt selbstverständlich Vieles mit, was sich in der musikalischen und Lebenserfahrung des Komponisten bewusst, halb-  oder unbewusst sedimentiert hat. Deswegen glaube ich sagen zu können, dass meine Kompositionen oft mit mir selber, meinem Leben, meinen Gefühlen und Emotionen zu tun haben. So ist zum Beispiel „Mare“ – das keine Programm-Musik ist (in dem Sinn wie es Debussys wunderbares "La Mer" ist), und bestimmt keine musikalische „Ansichtskarte“ – ein bewegtes, dramatisches Stück, das vielleicht mehr als meine Vorstellung vom Meer, meine allgemeine Vorstellung vom Leben widerspiegelt, die letzen Endes eine pessimistisch-tragische ist. Was nicht ausschließt, dass in meiner Musik auch Burleskes und Komisches vorkommt - ist doch das Leben im Grunde ein tragischer Scherz.

 

Wie ich schon sagte, handelt es sich hier nicht um Programmmusik, noch weniger um eine Abbildung des Meeres. Es handelt sich primär und grundsätzlich um ein Musikstück, das als solches wahrgenommen werden will und soll, das heißt gemäß einer „Logik“, die immanent musikalisch ist. Zwar habe ich im Stück auch versucht, Meereswellen strukturell in Klangwellen zu übertragen (worüber ich jetzt nicht weiter eingehe), doch dies bedeutet nicht, dass ich vom Hörer erwarten würde, dass er diese Wellen auch unbedingt sieht, bzw. hört. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist es zum „Verständnis“ des Stückes nicht wesentlich.

 

Hier interagiert das Stück mir der Installation von Regina Hübner, wobei dies seine Rezeption affiziert, wie umgekehrt auch die Rezeption der Installation durch das Hören der Musik beeinflusst wird.

 

Ich kenne Regina Hübner seit einem Vierteljahrhundert. Ich habe den künstlerischen Weg von ihr verfolgt und sie hat ihrerseits meine musikalischen Erkundungen begleitet. Unsere Wege sind recht verschieden, nicht nur weil wir mit verschiedenen Medien arbeiten. Doch hat es im Lauf der Jahre immer wieder Begegnungen, Berührungs- und Schnittpunkte gegeben, wie auch heute hier in Wien.

 

 

 

Über Schattenspiel/Gruss/Nel vento, con Ariel und time and person

 

Zwei Flötenstücke und ein Cello-Stück. Das erste Flötenstück ist aus den achtziger Jahren. Das kurze Cello-Stück aus den neunzgier Jahren und das zweite Flötenstück komponierte ich 2004, im Vorfeld meiner Oper "Prospero", nach Shakespeares "The Tempest", in der die Flöte eine wichtige Rolle spielt.

 

 

 

Über Terra/happen and unhappen

 

"Terra" entstand 2007. Das Wort hat im Italienischen, wie auch in einigen anderen Sprachen, unterschiedliche Bedeutungen:

 

der dritte Planet unseres Sonnensystems

 

das feinkörnige Gemisch (aus verwittertem Gestein, organischen Stoffen und Mineralien bestehend), das einen Teil der Erdoberfläche bildet und die Grundlage des Pflanzenwachstums darstellt; der Erdboden.

 

fester Boden, Grund, auf dem man steht; Untergrund;

 

begrenztes Gebiet, Land, zu dem eine emotionale Beziehung besteht;

 

irdische Welt; Welt als das von der Menschheit bewohnte Gebiet    

 

Ich hatte vor, etwas Tektonisches zu schreiben, etwas, was mit dem Erduntergrund zu tun hat, mit dem Erdbeben. Doch entstand die Komposition zur Zeit meiner ersten Besuche in Israel, die mich sehr beeindruckten, so dass ich nach wenigen Jahre die Staatsangehörigkeit beantragte. So reifte allmählich die Entscheidung, ein Stück zu schrieben, das auch mit diesem alt-neuen Land zu tun hatte. Terra, d.h. Erde heisst auf Hebräisch Aretz und mit HaAretz bezeichnet man auch das Land Israel. So wurde es auch ein Stück über Israel und ich zitiere drrin - wenn auch in alles andere als affirmative Weise - die wunderschöne israelische Hymne, HaTikva, zu deutsch: die Hoffnung.

 

Auch hier, wie im Falle von Mare, geht es um eine widersprüchliche musikalische Reflexion. Mich hat immer der Widerspruch, das nicht aufgehende, das mehrschichtig-komplexe interessiert.

 

 

 

Aus all dem, was ich über meine Arbeit sagte, versteht man, dass bei allem Unterschied unseres künstlerischen Weges, es eine Affinität zwischen den Fragestellungen im Werk von Regina Hübner und meiner eigenen Arbeit gibt. Reginas Arbeit hat eine philosophische Qualität, die aufs Ganze zielt. Sie stellt Fragen, die mit unserem Leben, mit unserer Welt, mit dem Sinn oder Unsinn des Ganzen zu tun haben. Letzte Fragen, auf die es keine Antworten, es sei denn tröstlich-kompromisslerische geben kann. So auch das Video, das wir heute sehen und zu dem meine - im ganz anderen Kontext entstandene - Musik gespielt wird. Doch ist es gut, dass diese Werke, so unabhängig sie auch voneinander sind, in Beziehung zueinander treten. Es wäre nämlich billig, Reginas Installation zu untermalen; genau so wohlfeil wäre es, meine Musik durch eine Installation von ihr zu illustrieren. Spannender ist es, dass diese eigenständigen Werke sich begegnen, aufeinander reagieren und dadurch neue Aspekte freigeben und sich im Glücksfall zu einer höheren Einheit ergänzen.