Walter Pobaschnig Interview

„Die Kunst macht Unsichtbares sichtbar und ist frei von Aufgaben“ Regina Hübner_Künstlerin_Rom 5.8.2020

Liebe Regina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Deine Einladung zu diesem Interview hat mich in Marseille erreicht, wo ich meine Ausstellung auf der MANIFESTA vorbereite. Momentan sitze ich in einem Garten an der Riviera, es ist der 14. Juli, französischer Nationalfeiertag und ich höre den Zikaden zu, während ich Dir schreibe. Interessanterweise habe ich gestern Sanary-sur-Mer besucht, Zufluchtsort u.a. österreichischer Schriftsteller zur Zeit des Nationalsozialismus, den du bestimmt kennst.

Wie mein Tagesablauf aussieht? – Es sind Tage mit Terminen, Besprechungen und Überlegungen, wie meine Ideen technisch umgesetzt werden sollen. Das „jetzt“ in deiner Frage weckt aber besonders meine Erinnerung an das „vorher“, als ich Mitte Februar in Villach war und eigentlich nach Mailand zu einer Konferenz hätte fahren sollen.

Die Lage in Norditalien verschlimmerte sich damals von Tag zu Tag, die Konferenz wurde kurzfristig abgesagt und ich beschloss, direkt zurück in meine Wahlheimatstadt Rom zu fahren. Das war genau zu Beginn des Pandemieausbruchs und mir war zumute, als würde ich mich in das Auge eines Zyklons begeben.

Ich erinnere mich an die Monate des Lockdowns und der Beschränkungen, die ich mit meinen beiden Töchtern in unserer Wohnung in Rom verbracht habe. Es war eine stillstehende und dramatische Zeit.

Ich habe mich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über das neue Virus beschäftigt, an meiner Ausstellung für Marseille gearbeitet, die bezüglich der Pandemie besonders aktuell geworden ist und ich habe ein neues Video gedreht, bei dem es um den primordialen Akt der Vereinigung geht. Dazu hatte mich anfänglich ein frühes Werk von P. W. inspiriert, aber in der Endfassung, die ich erst vor kurzem fertiggestellt habe, sind die erlebten Bedingungen physischer und psychischer Distanz evidenter geworden. Das Werk nennt sich kissing; die Portraitaufnahmen sind Video-Stills daraus.

Diese Ausnahmesituation hat mir ein schönes Geschenk gemacht. Nämlich, mit meinen Töchtern, die 25 und 20 Jahre alt sind, nach Jahren wieder so richtig zusammen zu sein. Das hat uns allen – neben dem Dolcefarniente – sehr gut getan.

Mein jetziger Tagesablauf gleicht dem vorherigen: Muse, Kreativität und Widmung. Aber es ist das erste Mal seit Februar, dass ich aus Rom und sogar in ein anderes Land gereist bin, weit durch Landschaften fahre, im Meer schwimme, viele Menschen sehe und mich mit anderen Personen treffe. Natürlich alles mit den entsprechenden Vorkehrungen.

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Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Die Empathie, das gegenseitige Vertrauen und den Zusammengehörigkeitssinn nicht zu vergessen.

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Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst zu?

Aufbruch und Neubeginn geschehen immer: Authentizität ist dabei eine Voraussetzung für die Gesellschaft, Aufrichtigkeit gilt für die Person.

Die Kunst macht Unsichtbares sichtbar und ist frei von Aufgaben.

 

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Was liest Du derzeit?

De rerum natura von Titus Lucretius Carus, das mich schon lange und immer wieder begleitet und zwei Bücher von Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit? und Menschliche Kommunikation.

 

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Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Eine Überlegung zur Wahrnehmung des Selbst und des Nichtselbst: Wir sind auch das, was wir nicht sind.

 

Vielen Dank für das Interview liebe Regina, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Ich danke Dir, es war eine Gelegenheit, über diese Zeit zu schreiben!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Regina Hübner, Künstlerin